Kognitive Verzerrungen - Biases im Fußballscouting

Kognitive Verzerrungen (cognitive bias) sind systematische Fehler in der Wahrnehmung, Erinnerung oder Interpretation von Informationen. Sie können zu Fehlern in der Entscheidungsfindung führen, da sie die Art und Weise beeinflussen, wie wir Informationen verarbeiten. Kognitive Verzerrungen können aufgrund von Heuristiken, sozialen Einflüssen oder anderen Faktoren auftreten. Es ist wichtig, sich ihrer Existenz bewusst zu sein und Strategien zu entwickeln, um sie zu erkennen und zu vermeiden. Im Fußball gibt es einige kognitive Verzerrungen, die bei der Bewertung von Spielern eine Rolle spielen können. Ich möchte hier einige der wichtigsten Verzerrungen vorstellen und erläutern, wie sie sich auf die Bewertung von Spielern auswirken können. Für eine umfangreiche Auseinandersetzung mit cognitive biases empfehle ich das Buch Thinking, Fast and Slow von Daniel Kahneman.

Clustering Illusion

Die Clustering-Illusion bezieht sich auf die Tendenz von Menschen, Muster oder Cluster in Daten zu sehen, wo eigentlich keine signifikanten Muster existieren. Diese kognitive Verzerrung führt dazu, dass zufällige Ereignisse fälschlicherweise als bedeutungsvoll interpretiert werden, was insbesondere in Bereichen mit großen Datenmengen wie dem Finanzmarkt oder dem Sport zu Fehleinschätzungen führen kann.

Beispiel Clustering Illusion
Im Fußballscouting kann die Clustering-Illusion dazu führen, dass ein Scout in der Leistung eines Spielers über einen kurzen Zeitraum fälschlicherweise ein Muster sieht und darauf basierend langfristige Vorhersagen trifft.

Beispiel: Ein Scout beobachtet einen Torwart, Spieler D, über fünf Spiele hinweg. In diesen Spielen hält Spieler D in drei Spielen hintereinander jeweils einen Elfmeter. Der Scout könnte nun aufgrund dieser kurzen Sequenz zu dem Schluss kommen, dass Spieler D eine außergewöhnliche Fähigkeit besitzt, Elfmeter zu halten, und ihn deshalb als Spezialisten auf diesem Gebiet einstufen.

Diese Einschätzung ignoriert jedoch die Möglichkeit, dass es sich bei den gehaltenen Elfmetern um ein zufälliges Ereignis handeln könnte und nicht unbedingt ein verlässlicher Indikator für die langfristigen Fähigkeiten des Torwarts ist. Ohne die Berücksichtigung weiterer Daten und Leistungen über einen längeren Zeitraum hinweg könnte die Entscheidung, Spieler D aufgrund dieser kurzen Sequenz von Ereignissen zu rekrutieren, auf der Clustering-Illusion basieren und nicht auf einer soliden Analyse seiner Gesamtleistung.

Confirmation Bias

Der Confirmation Bias, auch Bestätigungsfehler genannt, ist eine kognitive Verzerrung, bei der Menschen dazu neigen, Informationen auf eine Weise zu suchen, zu interpretieren, zu favorisieren und zu erinnern, die ihre vorherigen Überzeugungen oder Hypothesen bestätigt. Das bedeutet, dass sie eher Beweise wahrnehmen und akzeptieren, die ihre eigenen Ansichten unterstützen, während sie gleichzeitig gegenteilige Beweise ignorieren oder herunterspielen.

Beispiel Confirmation Bias
Ein Scout eines Fußballvereins erhält den Auftrag, einen vielversprechenden jungen Mittelfeldspieler, nennen wir ihn Spieler B, zu beobachten, der für seine exzellenten Pässe und seine Spielintelligenz bekannt ist. Der Scout hat bereits im Vorfeld positive Berichte über Spieler B gelesen und geht daher mit der festen Überzeugung in die Spielbeobachtung, dass Spieler B ein außergewöhnliches Talent ist.

Während der Beobachtung konzentriert sich der Scout vor allem auf die Momente, in denen Spieler B seine Stärken zeigt: präzise Pässe, kluge Spielzüge und gute Positionierung. Jedes Mal, wenn Spieler B eine dieser Aktionen erfolgreich ausführt, wertet der Scout dies als Bestätigung seiner anfänglichen Einschätzung.

Gleichzeitig neigt der Scout dazu, Aspekte von Spieler B’s Leistung, die nicht den Erwartungen entsprechen, weniger Gewicht zu geben oder zu übersehen. Wenn Spieler B beispielsweise in der Defensive Schwächen zeigt, schlechte Entscheidungen trifft oder in wichtigen Momenten des Spiels unsichtbar wird, könnte der Scout diese Momente als Ausnahmen betrachten oder Gründe außerhalb der Kontrolle von Spieler B dafür verantwortlich machen (z.B. schlechte Kommunikation mit den Teamkollegen oder eine unklare taktische Anweisung vom Trainer).

Durch diesen Confirmation Bias könnte der Scout am Ende einen Bericht erstellen, der die Fähigkeiten und das Potenzial von Spieler B überbewertet, während die Schwächen und Entwicklungsbereiche unterbewertet oder gar nicht erwähnt werden. Dies kann dazu führen, dass der Fußballverein eine Entscheidung auf der Basis einer verzerrten Einschätzung trifft, was langfristig negative Auswirkungen auf die Mannschaftszusammenstellung und die finanziellen Investitionen haben könnte.

Hindsight Bias

Der Hindsight Bias, auch bekannt als Rückschaufehler, beschreibt die Neigung von Menschen, nachdem ein Ereignis eingetreten ist, zu glauben, dass sie das Ergebnis vorhergesehen oder erwartet hatten. Dieser kognitive Bias kann dazu führen, dass Menschen ihre Fähigkeit, zukünftige Ereignisse vorherzusagen, überschätzen, da sie sich im Nachhinein an die Fakten so erinnern, als wären sie vorhersehbar gewesen.

Im Kontext des Fußballscoutings kann der Hindsight Bias die Bewertung von Entscheidungen im Nachhinein verzerren.

Beispiel Hindsight Bias
Ein Fußballverein entscheidet sich gegen die Verpflichtung eines jungen Spielers, Spieler E, basierend auf den Bewertungen und Empfehlungen der Scouts. Einige Jahre später entwickelt sich Spieler E zu einem der führenden Spieler in seiner Position auf internationaler Ebene. Mitglieder des Vereins, einschließlich der Scouts und der Führungsebene, könnten nun rückblickend behaupten, dass sie damals bereits das Potenzial in Spieler E gesehen hatten, aber aus verschiedenen, nun als trivial angesehenen Gründen gegen seine Verpflichtung entschieden haben.

Diese retrospektive Überzeugung, dass sie das Potenzial von Spieler E „eigentlich“ erkannt hatten, ignoriert die Tatsache, dass zum Zeitpunkt der ursprünglichen Entscheidung die Informationen und die Bewertung des Spielers zu einem anderen Schluss führten. Der Hindsight Bias lässt die Entscheidungsträger glauben, dass das Ergebnis (Spieler E wird ein Topspieler) vorhersehbar war, obwohl sie zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht über die Informationen verfügten, die sie im Nachhinein als offensichtlich betrachten.

Outcome Bias

Der Outcome Bias beschreibt die Tendenz, eine Entscheidung basierend auf dem Ergebnis der Entscheidung zu bewerten, anstatt auf die Qualität der Entscheidungsfindung (zum Zeitpunkt der Entscheidung selbst). Dieser kognitive Bias kann dazu führen, dass gute Entscheidungen, die zufällig zu schlechten Ergebnissen führen, negativ bewertet werden und umgekehrt: schlechte Entscheidungen, die zufällig zu guten Ergebnissen führen, positiv bewertet werden.

Im Fußballscouting kann der Outcome Bias die Bewertung von Transfers und Talentförderung beeinflussen.

Beispiel Outcome Bias
Ein Fußballverein entscheidet sich, einen relativ unbekannten Spieler, Spieler F, zu verpflichten, basierend auf einer gründlichen Analyse und positiven Bewertungen der Scouts. In seiner ersten Saison beim Verein erzielt Spieler F überraschend viele Tore und wird schnell zu einem Schlüsselspieler. Im Nachhinein wird die Entscheidung, ihn zu verpflichten, als hervorragend bewertet.

Diese positive Bewertung könnte jedoch stark vom Outcome Bias beeinflusst sein. Wenn Spieler F in seiner ersten Saison verletzungsbedingt kaum gespielt hätte oder sich nicht sofort an den neuen Verein angepasst hätte, könnten dieselben Entscheidungsträger für genau dieselbe Entscheidung kritisiert werden. In beiden Szenarien wäre die Qualität der Entscheidungsfindung dieselbe, aber das Ergebnis (und damit die Bewertung der Entscheidung) könnte stark variieren.

Der Outcome Bias kann somit zu einer verzerrten Wahrnehmung der Entscheidungsqualität führen, indem er den Fokus von der soliden Analyse und den zum Entscheidungszeitpunkt verfügbaren Informationen wegnimmt und stattdessen das Ergebnis überbewertet. Dies kann längerfristig zu einer Kultur führen, in der Glück oder Zufall statt gründlicher Analyse und Prozessqualität belohnt werden.

Self-Serving Bias

Der Self-serving Bias (Selbstwertdienliche Verzerrung) ist eine kognitive Verzerrung, bei der Menschen dazu neigen, Erfolge und positive Ereignisse ihren eigenen Fähigkeiten und Anstrengungen zuzuschreiben, während Misserfolge und negative Ereignisse externen Faktoren, wie Pech oder der Einwirkung anderer, zugeschrieben werden. Diese Verzerrung hilft Individuen, ihr Selbstwertgefühl zu schützen und zu erhöhen, kann aber auch zu einer verzerrten Wahrnehmung der eigenen Verantwortung und Leistung führen.

Beispiel Self-Serving Bias
Ein Scout, nennen wir ihn Scout A, hat die Aufgabe, junge Talente für einen Fußballverein zu identifizieren. Nach umfangreicher Recherche und Beobachtung empfiehlt Scout A die Verpflichtung eines jungen Spielers, Spieler X, von dem er überzeugt ist, dass er das Potenzial hat, ein Star zu werden. In den ersten Monaten nach der Verpflichtung zeigt Spieler X herausragende Leistungen, erzielt wichtige Tore und wird schnell zu einem Schlüsselspieler für das Team.

In Interviews und internen Meetings betont Scout A wiederholt, wie seine Expertise, sein scharfes Auge für Talente und seine gründliche Analyse entscheidend für die Entdeckung und Verpflichtung von Spieler X waren. Er schreibt den Erfolg der Verpflichtung hauptsächlich seinen eigenen Fähigkeiten und seinem Urteilsvermögen zu.

Einige Zeit später empfiehlt Scout A die Verpflichtung eines weiteren Spielers, Spieler Y, der jedoch nicht die erwarteten Leistungen erbringt und Schwierigkeiten hat, sich im Team zu etablieren. In diesem Fall neigt Scout A dazu, externe Faktoren für das Scheitern der Verpflichtung verantwortlich zu machen. Er könnte argumentieren, dass Spieler Y nicht genügend Zeit bekommen hat, sich anzupassen, dass das Trainingssystem des Teams nicht zu seinen Fähigkeiten passt oder dass Verletzungen und Pech seine Entwicklung behindert haben.

Durch den Self-serving Bias schützt Scout A sein Selbstbild und seine professionelle Reputation, indem er Erfolge sich selbst zuschreibt, während er für Misserfolge externe Umstände verantwortlich macht. Obwohl dies menschlich und verständlich ist, kann es die Fähigkeit des Scouts und des Vereins beeinträchtigen, aus Fehlern zu lernen und zukünftige Scouting-Entscheidungen zu verbessern, da eine ehrliche Selbstreflexion und Bewertung der eigenen Entscheidungsprozesse möglicherweise vernachlässigt wird.

Story Bias

Der Story Bias bezieht sich auf die Tendenz von Menschen, Informationen besser zu verarbeiten und zu erinnern, wenn diese in Form einer erzählenden Geschichte präsentiert werden, im Gegensatz zu abstrakten oder zusammenhanglosen Fakten. Im Kontext des Fußballscoutings kann dieser Bias dazu führen, dass Scouts oder Entscheidungsträger Spieler aufgrund der überzeugenden Geschichten, die mit ihnen verbunden sind, anders bewerten, anstatt sich ausschließlich auf objektive Leistungsdaten zu stützen. Hier ein Beispiel:

Beispiel Story Bias
Ein Scout wird beauftragt, einen Spieler, nennen wir ihn Spieler C, zu beobachten, der aus einem kleinen, wenig bekannten Verein stammt. Vor dem Spiel erfährt der Scout die inspirierende Geschichte von Spieler C: Er hat seine gesamte Jugendkarriere in unterklassigen Ligen verbracht, ohne Zugang zu den Trainingsressourcen und der Förderung, die in größeren Akademien üblich sind. Trotz dieser Hindernisse hat er sich durch außergewöhnliches Talent und harte Arbeit hervorgetan und schließlich die Aufmerksamkeit höherklassiger Vereine auf sich gezogen.

Während der Beobachtung des Spiels ist der Scout von der Geschichte von Spieler C beeindruckt und neigt daher dazu, seine Leistung auf dem Feld durch die Linse dieser erzählenden Geschichte zu sehen. Jedes Mal, wenn Spieler C eine bemerkenswerte Aktion zeigt – sei es ein geschickter Pass, eine erfolgreiche Dribbelaktion oder ein Tor –, sieht der Scout dies als weiteren Beweis für die außergewöhnliche Natur von Spieler C’s Talent und seinen unerschütterlichen Willen, sich gegen alle Widrigkeiten durchzusetzen.